Nun also Hannover! Obwohl ich in den Achzigern des Öfteren in meiner ehemaligen Landeshauptstadt unterwegs war – zugegebenermaßen damals weniger zum Laufen, sondern um seltene Bootlegs von Sisters of Mercy oder schräge Gehröcke im Second-Hand-Kaufhaus Gum in der Lister Meile zu ergattern – zog es mich in den letzten Jahren doch eher selten in die Stadt an der Leine. Lag es an den doch überschaubaren architektonischen Highlights der Stadt oder doch eher an dem fehlenden Charme der platten Großstadt? Nun, vermutlich beides und die räumliche Distanz, die sich zwischen uns gesellt hatte wie ein undurchdringlicher Schleier, der sich zeitgleich auf die ferne Erinnerung legte. Doch auf der Suche nach einem geeigneten Frühjahrs-Marathon, der noch kühle Temperaturen versprach und eine flache Strecke für eine neue Bestzeit bot, rückte die schmucklose Stadt an der Leine nun doch wieder ins Licht der läuferischen Attraktivität.
Leinen los für den Marathon?
Eine Bestzeit würde ich aufgrund meiner miserablen Vorbereitung zwar nicht erreichen können, so viel war schon einmal klar: Nachdem ich 2022 trotz Schneefall beim Freiburg-Marathon meine persönliche Bestzeit etwas verbessern konnte, war das Jahr gespickt von Rückschlägen: Ein Rippenbruch, mehrere Erkältungen plus Bronchitis als Dreingabe sowie Zeitmangel aufgrund meines Jobwechsels machten das Training nicht gerade einfach. Zu allem Überfluss gesellten sich auch noch Achillessehnenschmerzen dazu, die mich gerade bei den langen Läufen zum Pausieren zwangen. Und so stieg ich – der Vernunft folgend – vom Marathon auf den Halbmarathon um und schraubte meine Ziele dementsprechend herunter. Nichtsdestotrotz würde ich den Lauf genießen, denn ein ganzes Jahr ohne Wettkämpfe kann schon sehr langatmig sein – da fehlt einfach das Salz in der Läufer-Suppe.
Den März läuferisch ausklingen lassen
Und so fieberten Patrick, der nach seiner Anmeldung zur vollen Distanz noch einmal von einer Erkältung gebremst wurde, und ich wieder einmal mit halbem Blick auf die Wettervorhersage dem Lauf am letzten März-Wochenende entgegen. Diese wurde von Tag zu Tag etwas besser, wenngleich bei Ankunft in Hannover noch nicht viel danach aussah, dass es am Sonntag schönes Laufwetter geben würde: Sturm und Regen gaben sich die Hände und machten es den kleinen Läufern in spe, die am Familientag tapfer die kleinen Runden drehten, nicht gerade einfach. Unser Hotel, direkt am Marathon-Start, dem alten Rathaus, gelegen, ermöglichte mit einem Logenplatz ungehinderten Blick auf das Lauf-Geschehen. Und so konnten wir mit den kleinen Kindern, die an der Hand ihrer Eltern beim Familienlauf ins Ziel wackelten, innerlich mitfiebern und uns schon einmal gedanklich auf den heiteren Sonntagslauf einstimmen.
Das Drum und dran, bis es endlich losgeht
Für uns hieß es am Samstagmittag erst einmal „Startunterlagen abholen“. Recht entspannt bei wenig Gedränge holten wir unsere Starterbags im Marathonzelt an der Wiese zum alten Rathaus ab. Doch der Blick in denselben war etwas ernüchternd: Außer dem Zeitmessungs-Chip, der Startnummer und den Sicherheitsnadeln zum Befestigen derselben war nichts drin! Sollte dieser Lauf so enttäuschend sein wie der Inhalt des Starterbags oder einfach ein Bote für die zu erwartende Stimmung am Streckenrand sein? Oder würde Hannover stattdessen mit anderen Highlights punkten, die uns erst am nächsten Tag bewusst werden würden?

Der Marathon-Sonntag: Hannover lässt die Sonne aufgehen
Der nächste Tag kam dann wie immer schneller als gedacht – Patricks Lauf begann bereits um 9 Uhr, während ich erst ab 10 Uhr 40 zum Start vorgelassen wurde. Und so konnte ich während des Wartens noch ein wenig die Szenerie der ersten Starts beobachten – ich hatte den Eindruck, dass sich relativ wenig Läufer für den ganzen Marathon angemeldet hatten, denn die Menschenmassen hielten sich eher in Grenzen. Tatsächlich sollten nur rund 2000 Marathonis finishen, während es später beim Halbmarathon immerhin um die 5000 Läuferinnen und Läufer werden würden. Um halb 11 dann gesellte ich mich dann endlich in meinen Startblock und wartete auf den ersehnten Startschuss. Diese adrenalingeladene Stimmung vor dem Start ist einfach immer unbezahlbar und auch dieses Mal wurde das Ganze noch mit entsprechender Musik untermalt. Sobald die ersten Takte von „Hells Bells“ erklingen, weißt du: Gleich geht’s los und die im Zaum gehalten Horde von Läufer:innen wird gleich wieder wie entfesselt losrennen und versuchen, den jeweils eigenen Streckenrekord zu knacken – wie auch immer der ausfallen mag.

Endlich fällt der Startschuss zum 31. (Halb-)Marathon in Hannover
Um kurz vor 11 war es dann endlich so weit und ich konnte mich im Strom der anderen Läufer freilaufen zu meiner eigenen persönlichen Bestzeit, die mir an diesem Tag möglich wäre. Ich hatte mir trotz der schlechten Vorbereitung vorgenommen, eine Pace von 5:30 zu laufen in der Hoffnung, vielleicht wieder unter 2 Stunden zu kommen. Das hatte ich erst einmal drei Jahre zuvor in Frankfurt geschafft, aber natürlich war mir bewusst, dass es nicht leicht werden würde. Die Verhältnisse in Hannover hätten diese aber durchaus zugelassen: eine superflache Strecke und von Anfang ausreichend Platz in der Breite, sodass man bequem sein eigenes Tempo laufen konnte. Gleich zu Beginn konnte man einen Blick auf die Sonntagsausflügler am Maschsee erhaschen. Zunächst lief es ganz gut für mich und ich war konstant in meiner anvisierten Pace unterwegs, doch zwischendurch hatte ich dann doch Probleme, das Ganze zu halten. Meine Achillessehne spielte aber zum Glück mit – intensive Übungen und ein schickes, durchaus offenbar funktionierendes Tape machten es möglich.
Nach der Hälfte der Halbmarathonstrecke heißt es: Sondieren
Als ich dann die erste Hälfte der Strecke geschafft hatte, merkte ich, dass ich peu à peu an Zeit verlor – es würde schwer werden und so versuchte ich in der zweiten Hälfte, wieder an meine anvisierte Zeit heranzukommen. Die Stimmung an der Strecke wurde nun auch ausgelassener – für Hannoveraner Verhältnisse tatsächlich weit über dem sonst üblichen gediegenen Niveau – und dank einiger Trommler und aufpeitschender Musik wurden wir gut über die nächsten Kilometer mitgetragen. Auch die Menschen an der Strecke feuerten uns auf ihre Weise an. So hatten sich zwar einige junge Männer mit Bierflaschen bewaffnet einen Spaß daraus gemacht, uns auf ihre Weise mit lustigen Sprüchen à la „Jetzt aber Arsch hoch“ oder dem üblichen „Schneller!“ anzufeuern. Auch Bier wurde scherzhaft offeriert, aber vermutlich nicht getrunken. Ich war erfreut darüber, dass überhaupt eine lustige Stimmung aufkam. Das war nach über 15 Kilometern auch nötig, denn nachdem wir die langgezogene Hildesheimer Straße durchschritten hatten, ging es am Bahnhof vorbei durch die Innenstadt, wo schon richtig gute Stimmung herrschte und eine Dudelsack-Combo anheizte. Leider zu kurz, um ihnen länger zuzuhören – ich musste ja weiter versuchen, wieder an meine Pace heranzukommen. Mittlerweile spürte ich, wie mein Kopf immer heißer von der Anstrengung wurde – erste Vorboten für sich anbahnende Kopfschmerzen machten sich da bemerkbar. Die Beine waren noch ganz gut beieinander, wenngleich die Oberschenkel so langsam anfingen zu brennen.
Ich renne auf die Zielgerade
Und dann die letzten 3 Kilometer – die Rufe des Publikums wurden lauter und euphorischer und tatsächlich: Die Hannoveraner:innen waren echt richtig gut drauf! Ich versuchte nun, den Lauf noch einmal trotz der Anstrengung zu genießen, denn so schnell würde ich nicht wieder dazu kommen, einem Laufevent beizuwohnen. Doch die letzten Meter zogen sich und zogen sich und kurz vorm Zieleinlauf sagte mir die Laufuhr, dass ich knapp über den 2 Stunden lag. Trotzdem: mit aller Kraft versucht man dann die letzten Körner zu mobilisieren – um dann im Ziel eine leichte Holz-Medaille im Empfang zu nehmen, über die in den sozialen Medien teilweise enttäuscht gespottet wurde. Rein optisch war tatsächlich Motiv mit dem alten Rathaus, das für die Halbmarathonis bereitstand, für mein Dafürhalten etwas hübscher als die klobige „42K“ Statue, die den Finishern der Königsklasse überreicht wurde.

Und so war auch dieser Lauf von Patrick und mir zu einem guten Ende gebracht worden, auch wenn es dieses Mal für mich nur der Halbmarathon war.
Und mein Fazit? Es war es eine rundum gelungene Veranstaltung, die richtig straight organisiert war – wer braucht da schon Goodies im Starterbag?
