Warum laufe ich?

Jeder Mensch, der läuft, wird irgendwann mit der großen Frage nach dem „Warum“ konfrontiert. Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen werfen das, was sich dir als Selbstverständlichkeit erweist, in den Raum der Diskussionswürdigkeit. Tatsächlich kann es geschehen, dass wir uns dann von außen beschauen und diese argwöhnischen Mutmaßungen, denen Aussagen wie „Du willst dir etwas beweisen“ oder „Bist du in der Midlife-Crisis?“ zugrunde liegen, an uns heranlassen und uns selbst infrage stellen. Vielleicht haben sie Recht und dem Läufer an sich wohnt eine psychische Störung inne, die in dieser Besessenheit des Laufens kulminiert?

Die Entfernung des modernen Menschen von sich selbst

Die erschreckende Zunahme von Übergewicht und Bewegungsarmut hat dazu geführt, dass schlanke Menschen statistisch in der Minderheit sind – ist deswegen im Umkehrschluss Übergewicht die Norm geworden, weil der überwiegende Prozentsatz der Bevölkerung ebendies ist? Hinken wir mit den Begriffen „Normalgewicht“ oder „Idealgewicht“ der Realität hinterher und halten nunmehr ein Idealbild aufrecht, welches so nicht mehr zu erreichen ist? Tatsächlich bilden Begriffe wie „Body Positivity“ oder „Body Shaming“ das aktuelle Dilemma der Gesellschaft auch sprachlich ab. Indem wir Übergewicht mit positiven Begriffen belegen, versuchen wir, das Bewusstsein zu verändern, dass hier etwas in uns in Schieflage geraten ist, auch in uns selbst. Diffamierung von Menschen aufgrund ihres Äußeren ist immer verurteilungswürdig, und zwar in jeder Hinsicht. Auch schlanke Menschen erleben diese Diffamierungen in umgekehrter Hinsicht und werden sprachlich zum Beispiel als „Hungerhaken“ herabgesetzt. Hier findet dann der Paradigmenwechsel auf neuer Ebene statt, denn Übergewicht soll dann damit sprachlich zur Normalität erhoben werden.

Ich laufe, also bin ich

Doch was ist es, was des Menschen naturgemäße Bestimmung ist? Ist es diese, stundenlang vor dem Fernseher zu sitzen und sich eine Tüte Chips mit einer Flasche Cola einzuverleiben? So absurd dieses Bild ist, müssen wir uns doch immer wieder fragen, in welchen Momenten wir naturgemäß leben und in welchen nicht. Es braucht keine Studien, um das zu sehen, was klar vor einem liegt. Natürliche Ernährung und Bewegung sind der Schlüssel zum Menschsein. Doch die andere Wahrheit ist auch, dass unser modernes Leben uns immer wieder davon abhält, in einen Zustand des Naturgemäßen zu kommen, denn zu groß sind die Verlockungen, zu süß die Ablenkung durch Medien und denaturierte Nahrungsmittel, die dazu erschaffen wurden, um uns zu verführen und zu willenlosen Wesen zu machen, deren Hand nur noch diese eine Bewegung will – in die Chipstüte.

Ist Laufen die Antwort auf alle Fragen?

Tatsächlich begegnet mir diese einfach These in meinem täglichen Leben immer wieder. Es ist eine Individualerfahrung, die ich mit dir teile und die du annehmen kannst, wenn du magst. Ich versuche, das angelesene Wissen von Ernährungs- und Sportwissenschaftlern umzusetzen – manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Erfolg. Doch in vielen schwierigen Momenten, sei es körperlich oder psychisch – ist Laufen für mich sehr oft einfach die Lösung für die vielfältigsten Probleme unserer (modernen) Zeit.

Die Verwandlung des „Ich muss“ in „Ich will“

Doch wie schafft es der/die Einzelne, diese Lebensführung, die die Vernunft gebietet, tatsächlich auch mit Wollen umzusetzen? Eine selbst gesetzte Verbindlichkeit hilft, dieses „Ich muss“ letztlich in ein „Ich will“ umzuwandeln. Die Sache ist so einfach wie mühselig: Setz dir ein Ziel, mach dir einen Plan und arbeite diesen Plan mit soldatischen Pflichtgefühl gegenüber dir selbst ab. Bei jeder Aktivität gehe in dich und spüre die Dankbarkeit gegenüber deinem (schmerzfreien) Körper auf. Du wirst eine Sinnhaftigkeit in deinem Tun entwickeln, die irgendwann über das soldatische Abarbeiten deines Plans hinausgeht. Dein eigener kategorischer Imperativ wird dich dann schlussendlich von dem freudlosen „Ich muss“ in das energiegeladene „Ich will“ leiten. Freu dich drauf!


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